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Betrügerisch oder blauäugig?

Durch Kalkulationsfehler und Außenstände in die Pleite

Für gerichtlichen Durchblick durch Fensterrahmen-Chaos fehlten wichtige Zeugen

(go) Die Aktenlage für die Strafkammer Vaihingen schien zunächst offensichtlich: Da bestellt ein Kaufmann in Tschechien binnen sechs Wochen im Herbst 1997 Waren im Wert von über 120 000 Mark, bezahlt die ersten vier Lieferungen und lässt 18 Lieferungen unbezahlt. Sein Kredit bei der Bank beläuft sich laut Aktenlage auf nur 15 000 Mark. Das klingt zunächst nach Betrug, also einer absichtlichen Schädigung anderer unter Vortäuschung von Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit. Fünf Stunden später war man im Amtsgericht Vaihingen zumindest etwas schlauer als am Anfang. Aber: Der Reihe nach.

Der Festerbauer-Betrieb von Herrn L. (32),der heute in Ensingen wohnt, ging wirklich gut. Ab 1995 hatte er allein Fenster als Subunternehmer montiert. Ab 1996 hatte er zunächst in Sersheim, dann 1997 auch in Illingen Lager- und Ausstellungsräume angemietet und war mit bis zu elf Angestellten und einem monatlichen Umsatz von über 100 000 Mark aktiv. Ein florierender Betrieb, sollte man meinen. Doch ein Mitarbeiter - ausgestattet mit einem dubiosen halb-bestandenem Meisterbrief - machte soviel Murks beim Aufmaß der Fenster, dass sich nicht wenige Kunden weigerten zu zahlen und man bei der Bank immer weiter ins Soll rutschte. Bei der Bank hatte man zwar eine Absprache, dass man bis zu 200 000 Mark in der Kreide stehen könne, davon wusste aber nur der Filialleiter und wenn der weg war, wurden Abbuchungen zurückbelastet und Buchungen storniert. Vollzugsbescheide wegen unbezahlter Rechnungen flatterten ins Haus. Der Versuch, die Anfangsinvestitionen in einem Existenzgründungskredit umzuschulden, wie es der Steuerberater mehrfach dringend empfohlen hatte, scheiterte an der Zurückhaltung der Bank.

Dennoch blieb die Auftragslage gut und man musste, um Kundenaufträge bearbeiten zu können, Ware bestellen. Ware, die man aber nicht bezahlen konnte. Im April 1998 war dann Schluss: Eine halbe Million stand man nun bei drei Banken in den Miesen, die Zahlungsunfähigkeit trat ein und die Firma wurde geschlossen. Ihre Geschäfte betreibt seitdem eine GmbH weiter, in der die Lebensgefährtin von L. Teilhaberin ist.

Richter, Schöffen und Staatsanwalt versuchten nun herauszufinden, ob hier böser Wille oder nur mangelnde Kalkulationsfähigkeiten und Pfusch im Spiel waren. Der Angeklagte sah sich in der Rolle des ehrlichen Mannes: "Ich habe mich mit allen Gläubigern gütlich geeinigt, aber aus Tschechien hat man mich ein halbes Jahr lang überhaupt nicht angesprochen und dann kam die Strafanzeige." Zudem könne er weder feststellen, ob alle bestellten Fenster auch geliefert worden seien. Auch ob es Stornierungen oder Reklamationen gegeben habe wisse er nicht, denn das könne lediglich der zuständige Mitarbeiter D. sagen, dem die Auftragsabwicklung und das Bestellwesen übertragen gewesen seien.

Dass er sich habe persönlich bereichern wollen, stritt er energisch ab. "Ich trage die Verantwortung für den ganzen Schlamassel und habe weder Konkurs angemeldet noch den Offenbarungseid geleistet. Ich bezahle alles, auch wenn es schwer fällt." Als monatliche Entnahme aus der Kasse habe er sich lediglich das erlaubt, was auch einer seiner Monteure verdiene. "Die 2000 Mark kann ich auch in jeder Fabrik verdienen. Wenn man das überdenkt, wäre ich besser in der Fabrik geblieben", zeigte sich der Angeklagte reuig. Der Vorwurf, dass Fenster aus den Bestellungen von 1997 auf einer privaten Baustelle im Jahr 2000 eingebaut worden seien, wie es die Ermittler vermuteten, das sei unsinnig. Das Gerücht, er habe sich nach Frankreich absetzen wollen, sei haltlos: Seine Wohnung im Elsass habe er schon vor der Pleite gehabt und sie sei auch in allen Gewerbeanmeldungen eingetragen.

So gesprächig der Angeklagte auch war: Zu Details des Geschäftsbetriebs konnte er oft nichts sagen. Sei es, weil die Akten aus dem dritten Quartal 1997 offenbar für ein anderes Verfahren von der Staatsanwaltschaft Pforzheim beschlagnahmt worden sind, sei es, weil für den betreffenden Geschäftsbereich ein Mitarbeiter verantwortlich war, dem er "voll vertraut und nicht in die Arbeit gepfuscht" habe. Von der Schöffin kam dann auch etwas unmutig die Frage, ob der Firmenchef denn überhaupt etwas gearbeitet oder nur kassiert habe. Der Hauptzeuge D., der die ganzen Bestellungen abgewickelt hat, wohnt inzwischen in Österreich und hatte dem Richter telefonisch mitgeteilt, dass er wenig Lust verspüre, zum Prozess anzureisen. Und das ist kein Wunder: D. ist momentan lediglich auf Bewährung auf freiem Fuß.

Eine Insider-Aussage machte nur die Sekretärin des Betriebs: "Aus meiner Sicht war Herr L. lediglich blauäugig und hat die Betriebskosten falsch abgeschätzt." Und in der Tat musste das Gericht feststellen, dass Herr L. weder eine handwerkliche noch eine kaufmännische Lehre abgeschlossen hat und die Jahre vor seiner Selbständigkeit vor allem als Fabrikarbeiter tätig war - keine gute Voraussetzung für die Verantwortung der Selbständigkeit, wie die Schöffin kritisch anmerkte.

Als Zeugen traten auch der deutsche Handels-Vertreter der Liefer-Firma und ein Mitarbeiter der Liefer-Firma aus Tschechien auf. Von Stornierungen oder größeren Reklamationen, die eine Nicht-Bezahlung der Rechungen erklärt hätten, wussten sie nichts zu sagen. Auch wer der beiden Handelspartner weswegen die Geschäftsbeziehung wann abgebrochen habe, blieb im Dunkeln. Darüber wisse allenfalls der Geschäftsführer der tschechischen Firma Bescheid; doch der war nicht geladen.

"Wir laden gerne alle Zeugen, die notwendig sind,", versicherte der Richter dem Angeklagten. "Aber wenn Sie erst in der Hauptverhandlung überhaupt Angaben zur Sache machen und auch über Ihren Verteidiger keine Andeutungen kommen, dann wissen wir nicht, wen wir noch laden sollen."

Telefonische Ermittlungen während der Mittagspause des Gerichts bestätigten im wesentlichen entlastende Momente für den Angeklagten und der Richter schlug vor, den Prozess zu vertagen und zunächst Nachermittlungen anzustellen. Zu befragen sind der Filialleiter der Hausbank, der Abwickler der Firmenauflösung und der in Österreich lebende Mitarbeiter D. Eventuell wird der Angeklagte bei diesen Befragungen so weit entlastet, dass das Verfahren eingestellt werden kann. Denn warum die tschechische Fensterbaufirma niemals auf den Privatklageweg versucht hat, an ihre Außenstände zu kommen, das ist eine offene Frage, die an der Korrektheit der Forderung insgesamt Zweifel aufkommen ließ.

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