[Aktuell]
[Kultur/Literatur]
[Rezensionen]
[Bildung und Erziehung]
[Computer/Internet]
[Gericht]
[Diverses/Lokales]
[Fotostrecken]


Artikel zu folgenden Themen oder Rezensionen zu folgenden Büchern kann ich Ihnen anbieten:

Start >Presse> Artikel

"Uhren, Huren oder Urnen?"

Erzählfreudiger Chauffeur vor dem Schöffengericht

Ein geständiger Geschichtenerzähler vor dem Schöffengericht in Vaihingen

"Wäre es möglich, dem Angeklagten die Fußfesseln abzunehmen?", fragt der Verteidiger den Richter. "Wenn die Sitzung beginnt.", ist die knappe Antwort. Hans-Peter T. (Name geändert) ist ein Herr um die Fünfzig ohne ein graues Haar, er trägt einen dunklen Anzug - auch wenn unter dem Arm eine Naht gerissen ist und das weiße Hemd hervorblitzt - und schwarze Schuhe. Seine Füße sind durch eine Kette miteinander verbunden, im Zimmer 7 des Amtsgerichts Vaihingen sind zwei Polizisten, die ihn im Blick haben und in Türnähe stehen.

Das Schöffengericht tritt zusammen. "Bleiben Sie bei uns? Dann können wir die Fußfesseln abmachen." "Was soll ich denn da draußen bei dem Regen?", witzelt der Angeklagte zurück.

Ist der Mann gefährlich? Was hat er angestellt? Überfall? Mord? Die Staatsanwältin sieht halb so alt aus wie der Angeklagte und trägt die Anklage vor: Autokennzeichen soll Hans-Peter T. gestohlen haben und er hat sie im März 2002 an ein anderes Auto angebracht. Das ist Urkundenfälschung. Ungünstig dabei ist, dass er den Wagen, einen Audi A 6, auf einem Waldparkplatz bei Vaihingen gestohlen hat. 12.000 Kilometer mehr hatte das Auto nach nur zehn Tagen auf dem Kilometerzäher, es war also offenbar stark im Einsatz: In Stuttgart, Düsseldorf, Hamburg-Altona und in Bayern. Dort fiel der Wagen wegen zu schnellen Fahrens auf (50 in einer "Zone 30") und nach einer nächtlichen Verfolgungsjagd von 15 Kilometern knallte der Wagen gegen eine Leitplanke. Ende einer Flucht. Dass der Führerschein längst eingezogen war und Herr T. einen alten Reserve-Führerschein aus der Bundeswehrzeit benutzt, kommt noch dazu.

Hans-Peter T. möchte aussagen, er möchte viel und gerne aussagen. Die Kennzeichen habe er nicht gestohlen sondern gekauft. In einem Spielcasino habe er einen Rumänen kennen gelernt, der ihm für nur 200 Euro die Kennzeichen überlassen habe. "Ich wusste, dass sie gestohlen waren. Aber der sagte, dass die nicht mehr heiß sind." Hehlerei bleibt das trotzdem. Ebenfalls im Spielcasino habe er bereits zehn Tage vor dem Kennzeichenkauf einen spielsüchtigen Förstersohn getroffen, der ihm erklärt habe, wie und wo man auf Waldparkplätzen bei Vaihingen einfach an Autos von Joggern kommt. Die sind nämlich oft so nachlässig, ihre Schlüssel außerhalb des Autos zu deponieren. "80 Prozent der Leute, die ins Spielcasino gehen sind Lumpen.", informiert Hans Peter T. das Gericht. Ob er sich dazuzählt, lässt er offen.

Das gestohlene Gefährt brauchte er, um einen Job bei einem Beerdingungsinstitut zu bekommen. "Ich sollte Urnen nach Hamburg zur Seebestattung fahren. Dazu braucht man ein eigenes Auto. Und ich hatte kein Geld. Das wollte ich mir da verdienen, einen Volvo kaufen und dieses Auto zurückbringen." Hans-Peter T. ist ein echter Gentlemanverbrecher: Schon in den 80ern hat er einmal ein Auto geklaut und wollte es, als er es nicht mehr brauchte, zurück bringen. Der Eigentümer aber habe es nicht mehr gewollt: "Ich geb dir tausend Mark, stell es nach München.". Dem Verteidiger ist der Redefluss seines Schützlings nicht immer genehm. Oft wandern die Augen gen Himmel. Was erzählt er jetzt wieder. "Geschichten erzählen können Sie ja. Damit kann man auch Geld verdienen.", schlägt die Schöffin vor.

Herr T. erzählt und erzählt. Dass Bestatter die Särge "Speckkisten" nennen, dass er in dem gestohlenen Auto drei Polizisten zu einem Obduktionstermin kutschiert hat, dass er Freigabescheine für Mordopfer bei der Staatsanwaltschaft mit dem Auto abgeholt hat und einfach so auf den beschrankten Parkplatz fahren konnte.

Und der Gipfel: Mit den noch echten Kennzeichen am geklauten Auto ist er im März zu seinem letzen Gerichtstermin nach Böblingen gefahren. "Die Zeit war halt knapp. Und ich komm immer pünktlich zur Verhandlung." Wir erinnern uns: Hans-Peter T. ist ein Gentleman. So will er auch ein Missverständnis nicht auf sich sitzen lassen, denn laut Polizeiprotokoll soll er nicht Urnen sondern Huren nach Düsseldorf und Frankfurt chauffiert haben. "Mit Zuhältern und Huren habe ich nichts zu tun. Die leben ja von Unzucht." Der Schöffe hat Verständnisschwierigkeiten: "Uhren, Huren oder Urnen?", vergewissert er sich. "Na, Huren!" "Uhren?" "Prostituierte." Aha, jetzt ist alles klar. Der Kriminalkommissar, der den Angeklagten verhört hat ist sich sicher: "Es war eindeutig von Mädchen die Rede, die zwischen ihren Arbeitsstätten ausgetauscht werden sollten. Bei Urnen oder Uhren hätte ich nachgehakt. Das wüsste ich noch. Irrtum ausgeschlossen."

Hans-Peter T. hat es nicht leicht, denn auf einen guten Ruf kann er nicht bauen: 1946 ist er geboren und hat seit 1962 schon 17 Jahre s im Knast verbracht. Rund ein Drittel, oder: die Hälfte der Zeit, in der er überhaupt strafmündig war. Jede einzelne Bewährung, jede einzelne vorzeitige Entlassung wurde rückgängig gemacht, weil er sich wieder mit dem Gesetz angelegt hat: Diebstahl, schwerer Diebstahl, Betrug, neuerdings auch Computerbetrug. Aber ganz Gentleman ist er geblieben: Nie ist ein Mensch durch ihn körperlich zu Schaden gekommen, keine Schlägerei, nichts. Woran liegt sein gestörtes Verhältnis zum Gesetz? Kann er nicht oder will er nicht? Bereits als Säugling musste er ohne Eltern in einem Heim in St. Blasien aufwachsen. Oder ist es, wie die Staatsanwältin vermutet? "Ihnen gefällt es offenbar im Gefängnis. Und ob Sie in Freiheit, in Untersuchungs-Haft oder im Vollzug sterben, dürfte reiner Zufall sein." Er möge doch die vier Jahre nutzen, um seinen Memoiren zu schreiben. "Vier Jahre?", jetzt bricht das Temperament durch. "In Hamburg hätte man mich für so einen Scheißdreck nicht mal angeklagt."

Und vier Jahre Zeit zum Nachdenken har Hans-Peter T. jetzt: Er muss eine Bewährung, die wieder mal verfallen ist absitzen, eine Verurteilung vom März und die aus Vaihingen werden zusammengezogen. "Ich benutze das Wort sehr ungern, aber Sie sind ein Gewohnheitsverbrecher.", erklärt der Richter dem Angeklagten. Na dann, auf Wiedersehen, Hans-Peter.


Copyright (c) 2002 by Oliver Gassner (http://oliver-gassner.de). This material may be distributed only subject to the terms and conditions set forth in the Open Publication License, v1.0 or later (the latest version is presently available at http://www.opencontent.org/openpub/). Distribution of substantively modified versions of this document is prohibited without the explicit permission of the copyright holder. Distribution of the work or derivative of the work in any standard (paper) book form is prohibited unless prior permission is obtained from the copyright holder.


Copyright / © Oliver Gassner, 2002ff -- presse@carpe.com


oliver Gassner



Kontakt / Impressum:
Oliver Gassner (ViSdM)
Kehlhofgartenstraße 6a
D-78256 Steisslingen

tel +49 179 297 234 2
e-mail: kontakt @ carpe.com
skype me!


Ich arbeite mit:
Mind Mapping mit Mindmeister