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Open Content: ein juristischer Computer-Virus

Oliver Gassner über einen Vortrag des Literaturwissenschaftlers Florian Cramer zum Thema Copyright im digitalen Zeitalter

Im Internet gibt es alles umsonst. Vor allem: Texte und Musik. Und Filme und Software. Ist das alles legal? Oder gar gut? Womit verdienen die Menschen, die diese Inhalte geschaffen haben, Geld? Was geschieht, wenn einfach jemand diese Arbeiten nimmt und für die eigenen ausgibt? Oder kopiert und verkauft? Gilt das Urheberrecht?

Florian Cramer, Literaturwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, gab bei einem Vortrag am 4. Juli 2001 in der Stadtbücherei Stuttgart einen Überblick über die Problemfelder des geistigen Eigentums im Informationszeitalter. Schon das Thema seines Vortrags war erläuterungsbedürftig: »Open Content«. Was ist unter »Content« zu verstehen und was gar unter »Open«?

Content: Was unterscheidet ein Programm von einem Gedicht?

Es zeigte sich im Vortrag recht schnell, dass eine Abgrenzung zwischen den Inhalten (Content) z.B. des Internets und Programmen oder Betriebssystemen nicht einfach ist. Denn wo genau ist die Grenze zwischen einem als Programmcode - also in Computer-Sprache - vorliegenden Verfahren (Algorithmus) und der normal-sprachlichen Beschreibung dieses Verfahrens in einem Text? Auf das Programm wird in der Regel das Patentrecht angewandt, auf den Text hingegen das Urheberrecht oder international das Copyright. Einen Text erwirbt man in Papierform - oder ein Lied in Form eines Tonträgers - und kann ihn beliebig oft nutzen und nach Nutzung eventuell auch wieder weiterverkaufen. Als Bibliothek kann man ein Buch beliebig oft verleihen. Für Software hingegen werden Lizenzen vergeben. Man erwirbt nicht das Programm, sondern lediglich eine oft eng gefasste Erlaubnis zu dessen Nutzung. Verleih oder Wiederverkauf sind oft entweder unmöglich oder an strenge Auflagen gebunden. Allerdings gehen die Bestrebungen vieler, gerade sehr innovativer, Firmen dahin, auch auf die Beschreibung von Verfahren das Patentrecht anzuwenden und Geld aus der Vergabe von Lizenzen für deren Nutzung einzunehmen. Die Grenze zwischen Software und Texten, Programmen und Inhalten (elektrodeutsch: Content) verschwimmt. Diese Grenzauflösung legt es nahe zu überprüfen, ob nicht bestimmte Lizenzformen, die für Software taugen, nicht auch für Inhalte taugen könnten.

Ausgeschlossen: Dateien dürfen nicht ins Antiquariat

Zunächst behandelte Cramer die lizenzrechtlichen und technischen Einschränkungen, die sozusagen »geschlossene«Nutzung.

Es zeichnen sich Tendenzen ab, die Nutzung von Software oder digitalen Bildern, Tönen und Filmen auf einzelne Personen oder einzelne Geräte zu beschränken. Neue Versionen des Betriebssystems Windows sind nur auf dem Computer, mit dem sie erworben werden, einsetzbar. Zukünftige Versionen sollen gar nicht mehr als unbefristete Nutzungs-Lizenz verkauft, sondern monatsweise gemietet werden können - ähnlich dem Pay-TV a la »Premiere World«. Filme, die auf den neuen DVD-Scheiben gespeichert sind, sind gar mit einem Regionalcode versehen, der dafür sorgt, dass ein in den USA gekaufter Film auf europäischen DVD-Abspielgeräten nicht funktioniert und kopieren kann man die Filme erst recht nicht. Cramer verglich das bildhaft mit einem in den USA gekauften Buch, dessen Seiten sich beim Überqueren des Atlantik in Asche und Rauch auflösen.

Der Wissenschaftler skizzierte auch die Veränderungen, die sich bei dem Internet-Dienst Napster in den letzen Monaten nach der Übernahme durch Bertelsmann ergeben haben: Waren früher in der Musiktauschbörse digitale Popsongs gratis tauschbar, so ist es heute nur möglich, den Dienst gegen Bezahlung zu abonnieren und eine Datei zu erhalten, die lediglich auf einem Computer wieder als Musik anzuhören ist. Ein »Brennen« der Lieder auf CD, wie das früher möglich war, wird zudem durch einen Kopierschutz verhindert. Ein Zuhörer nannte das Beispiel, dass einige Lizenzen für elektronische Bücher sogar das laute Vorlesen verbieten. Wer also aus dem betreffenden eBook seinen Kindern Alice im Wunderland vorliest macht sich strafbar. Cramer erläuterte, dass diese Einschränkungen unter anderem bedeuten, dass das deutsche Urheber- und Verwertungsrecht durch freie Vereinbarungen eingeschränkt wird, die zum Teil das amerikanische Copyright oder noch engere Lizenzen auch für die Nutzung in Europa in Kraft setzen.

Closed: Wissen unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Für Privatleute sind die oben aufgeführten Einschränkungen bei der Nutzung digitaler Inhalte ja eventuell hinzunehmen. Für Bibliotheken jedoch bedeuten diese Regelungen und technischen Maßnahmen, dass sie die entsprechenden Medien oft überhaupt nicht zur Ausleihe oder auch nur Nutzung in den Räumen der Bibliothek anbieten können. Die Programme, Texte, Lieder, Filme und Bilder sind also von einem öffentlichen Zugang ausgeschlossen.

Open: Information wants to be free

Wie nun ist dieses Problem zu lösen? Gerade das Nebeneinander von Bibliotheken, als offene und freie Nutzungsform von Inhalten, und den Verlagen, Druckereien und dem Buchhandel zeigen, dass eine öffentliche Nutzung von Inhalten deren kommerziellen Vertrieb nicht behindern muss sondern vielmehr sinnvoll ergänzt. Florian Cramer bezeichnete gerade die Bibliothek als Modell für eine sinnvolle Regelung von Nutzungsrechten im digitalen Zeitalter.

Und bei der Software zeichnen sich neben den oben skizzierten Einschränkungen seit dem Ende der 90-er Alternativen ab: Die sogenannte Open-Source-Bewegung, deren prominentestes Produkt das kostenfreie Betriebssystem Linux ist, nutzt eine Lizenzform, die nicht nur die kostenfreie Nutzung von Programmen erlaubt, sondern auch ermöglicht, dass die Programme modifiziert werden dürfen oder gar - zu Paketen geschnürt - kommerziell vertrieben werden können. Das ist, was mit dem Begriff »open« gemeint ist: Gratis verfügbar, frei modifizierbar, mit der Erlaubnis der Weitergabe auch gegen Gebühr für eine Bearbeitung. Wer aber die Software einmal erworben hat, der darf sie seinerseits wieder unbeschränkt weitergeben.

Der Trick dabei: Jede Software, die wiederum Programmteile nutzt, die unter der offenen Lizenz (der sogenannten »GNU Public License« (GPL) ) stehen, muss zwingend auch unter dieser Lizenz vertrieben werden, ist also wieder mit offenem Quellcode, Modifikationserlaubnis und Verbreitungserlaubnis ausgestattet. Cramer erklärt: »Das ist praktisch ein juristischer Computer-Virus, ein Hack des Copyrights.«

Modell: Freie Wissenschaft

Neben der Open-Source-Bewegung und den Bibliotheken bietet sich ein weiteres Modell an: Das des Wissenschaftsbetriebs, in dem nicht nur eine freie Zitierbarkeit herrscht sondern auch die Patentfreiheit von Wissen: Einstein hatte eben kein Patent auf die Relativitätstheorie, und kein Forscher musste ihm für die Nutzung seines Wissens Lizenzgebühren entrichten.

Gerade Erkenntnisse und Ergebnisse, die unter staatlicher Finanzierung entstünden, so Cramer, müssten eigentlich unter eine Open-Content-Lizenz gestellt werden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass staatliche Bibliotheken Bücher ankauften, deren Inhalte ebenfalls vom Staat finanziert worden seien. Denkbar und sinnvoll sei es zum Beispiel, wenn eine Forschergruppe ihre Ergebnisse lediglich in elektronischer Form selbst publiziere und die Druckrechte komplett freigebe. Gegen eine Verfälschung von Inhalten oder deren Manipulation gebe es in den bereits vorliegenden Lizenzentwürfen für »Offene Inhalte« entsprechende Klauseln, so dass eine Zensur ausgeschlossen werden könne.

Gleiches gelte für die Produktionen des öffentlichen Rundfunks oder Projekte, die von der deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert worden seien. Dass die Gesellschaft für diese Inhalte ein zweites Mal bezahle sei schwer hinnehmbar. Cramers persönliche Konsequenz: »Für mich ist es eine Frage der wissenschaftlichen Ethik, dass ich meine Doktorarbeit nach Fertigstellung unter einer Open-Content-Lizenz freigebe.«

Am Schluss von Florian Cramers Vortrag stand der Appell: Ein offener und freier Informationsfluss in einer demokratischen Gesellschaft sei nur zu gewährleisten durch offengelegte, unpatentierte Datenformate, lizenzfreie Verarbeitungs-Verfahren und gemeinfreie Betriebssysteme und Programme.

Links zum Vor- und Beitrag:
http://opentheory.org - Open Theory (dt.)
http://opencontent.org - Open Content Lizenz (engl.)
http://www.linux.org - Linux Online (engl.)
http://everything2.org - Textcommunity (engl.)
http://nupedia.com - Offene Enzyklopädie (engl.)

Copyright (c) 2001 by Oliver Gassner (http://oliver-gassner.de). This material may be distributed only subject to the terms and conditions set forth in the Open Publication License, v1.0 or later (the latest version is presently available at http://www.opencontent.org/openpub/). Distribution of substantively modified versions of this document is prohibited without the explicit permission of the copyright holder. Distribution of the work or derivative of the work in any standard (paper) book form is prohibited unless prior permission is obtained from the copyright holder.


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