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Schwarze Magie und eine Axt

Ein Familienzwist vor dem Amtsgericht in Vaihingen - Widersprüchliche Aussagen - Verfahren eingestellt

"Normalerweise landen türkische Familienstreitigkeiten nicht vor Gericht. Die regeln das untereinander.", meint die Staatsanwältin im Vorfeld. Dann ist noch von drei Angeklagten und einer Axt die Rede. Man darf gespannt sein.

Deniz Ü (72, alle Namen geändert) ist Rentner und war früher Schreiner. Sein jüngster Sohn Arslan ist 1972 in Vaihingen geboren, seine Schwester Aische D. ist 19 Jahre älter als er und das zweitälteste von den acht Kindern der Familie. Sie alle sind angeklagt ihren Ex-Schwager Yilmaz im Keller eingesperrt und bei seiner Flucht getreten und geschlagen zu haben. Das war an einem Sonntag im Dezember 2000.

"Aber das war genau andersrum.", erklärt Arslan. "Er hat uns angegriffen. Nachdem er den Keller verwüstet hat, hat er meinen Vater mit einer Axt bedroht. Ich habe ihn festgehalten und mein Vater hat ihm die Axt weggenommen. Geschlagen habe ich ihn nicht." Er habe nach seiner Nachtschicht bei seinen Eltern übernachtet und sei von Geschrei auf der Straße erwacht. Als er gesehen habe, dass sein Schwager versucht den Vater mit einer Axt anzugreifen, habe er geholfen, Yilmaz zu entwaffnen. Der Schwager sei dann weggefahren. "Wenn es falsch ist, dass ich meinem Vater helfe, weiß ich nicht was richtig ist und was falsch." Yilmaz K. sei nicht zurechnungsfähig, er habe dem Vater mit Mord gedroht, falls er in die Türkei zurückkehre. Vater Deniz schildert den Vorgang so: Der Schwiegersohn habe im Keller nach eigenen Möbeln gesucht. Dann habe ihn Yilmaz K. zunächst unvermittelt mit einem Schrubber angegriffen und darauf mit einer Zimmermannsaxt. Er habe die Tür zum Keller zwar auf der Flucht hinter sich zugeschlagen, sie aber nicht abgeschlossen. Auf der Gasse dann sei ihm sein Sohn zu Hilfe geeilt. Dass der Schwiegersohn bei seiner Rückkehr der Tochter Haare ausgerissen hat, könne auch die Polizei bezeugen. Yilmaz habe das Haarbüschel ja noch in der Hand gehabt.

Bei der Entwaffnung haben er und sein Sohn Schnitte an den Händen und Armen davongetragen.

Aische Ü. berichtet, dass Yilmaz kurz nach seiner Flucht wieder zurück kam. "Er rannte auf mich zu, hat mir Haare ausgerissen und meine Lederjacke am Kragen zerrissen. Als er mir ins Gesicht schlug, wurde ich ohnmächtig. Ich habe dann nur noch mitbekommen, dass ich ins Krankenhaus gefahren wurde. Richtig zu Besinnung bin ich erst wieder dort gekommen." Sie musste einen Tag im Krankenhaus verbringen. "Yilmaz ist doch verrückt. Der hat auch versucht seine Frau umzubringen."

Beim zweiten Angriff will dann Arslan den damals schwergewichtigen Angreifer lediglich umgeworfen haben: "Dann habe ich mich auf ihn gesetzt bis die Polizei kam. Er hat mir dabei in die Wade gebissen."

Yilmaz K. hat eine ganz andere Geschichte erlebt. Und er holt aus. Ein paar Tage vor dem Zwischenfall habe er ein von der Schwiegermutter bereitetes essen zu sich genommen, nach dem es ihm sehr schlecht gewesen sein. Er sei davon krank und schwach geworden. Daraufhin habe er beschlossen, aus dem Haus auszuziehen, in dem er und die Schwiegereltern getrennte Wohnungen gemietet hatten. Seine Frau und die Kinder wollten mitkommen.

Als er an dem Sonntag im Dezember 2000 versuchte, zwei Türen aus dem Keller in seine Wohnung zu bringen, habe er plötzlich feststellen müssen, dass er im Keller eingeschlossen war. Er habe die Tür aufgetreten und sei daraufhin von seinem Schwiegervater, der draußen auf der Gasse wartete, mit Tritten bedacht werden. Mit einem langstieligen Gartengerät habe er sich den Weg nach draußen freigekämpft und die Waffe dann im Keller zurückgelassen.

Draußen sei er dann von Deniz und Arslan geschlagen worden und sei zur Polizei geflüchtet um Anzeige zu erstatten. Er sei dann nochmals zu dem Haus zurück, denn er habe mit zwei Männern einen Termin gehabt, um die Wohnung zu besichtigen, denn dort sollten noch Maler- und Gipserarbeiten ausgeführt werden. Bei der Rückkehr sei seine Schwägerin auf ihn zugestürmt und habe ihn angegriffen. Es sei aber nicht geschlagen, sondern nur mit den Armen gefuchtelt worden. "Plötzlich lag sie am Boden. Ich weiß nicht warum. Und dann stürmten die anderen auf mich ein." Sein Schwager habe ihn im Schwitzkasten gewürgt und geboxt. "Heimlich geboxt, da waren viele Leute, aber die konnten das nicht sehen. 30 Mal hat er mich kurz geboxt." Dann sei der Sohn von Aische gekommen, der, als er gesehen habe, dass seine Mutter KO gegangen sei, ihn etwa 50 oder 100 mal getreten habe. "Mit Schuhen?" "Ja, mit Schuhen." Spuren dieser Tritte konnte das Gericht auf den Polizeifotos aber keine finden.

Der Verteidiger von Arslan Ü. hätte es gerne genau gewusst: Wo war das Auto geparkt, woher kamen die Zeugen, wo stand und lag wer? Yilmaz K. hat Schwierigkeiten eine Skizze der Gebäude anzufertigen und zu erklären, durch welche der Türen er seine Wohnung betreten wollte. "Ist das relevant?", fragt der Richter. "Ja, ich will nachher die anderen Zeugen fragen, was sie gesehen haben.", gibt der Anwalt zurück. Das mühsame Skizzieren dauert und dauert. Yilmaz wird immer nervöser und spricht nicht mehr türkisch mit der Übersetzerin sondern versucht sich mit gemischtem Erfolg auf Deutsch verständlich zu machen.

Dann geht es nochmals um das rästelhafte Essen, das ihm seien Schwiegermutter vorgesetzt hatte. Die Übersetzerin muss erklären: "Er spricht von Schwarzer Magie, er glaubt, er sei verhext worden." Aslans Verteidiger zieht die Zimmermannsaxt aus der Aktenasche und fragt: "Haben Sie das schon mal in der Hand gehabt? Kennen Sie diese Axt?" Yilmaz K. ist schockiert, fängt sich: "Nein." Später dann korrigiert er: Er wisse es nicht mehr. Er sei sich nicht sicher. Als ehemaliger Verwandter, denn inzwischen ist er von seiner Frau geschieden, kann er nicht vereidigt werden, aber auch eine Falschaussage allein kann schon unangenehme Folgen haben. Der Anwalt lässt nicht locker: "Haben Sie in der Woche vor der Schlägerei neue Möbel durch das Fenster auf die Straße geworfen? Überlegen Sie gut was Sie sagen. Die Polizei war da, die kann alles bezeugen."

Der als Zeuge geladene Gipser kann manches aber nicht alles bezeugen. Ob eine Frau oder jemand anders auf Yilmaz K. zugestürmt sei, wisse er nicht mehr. Und getreten sei niemand worden, nur geboxt und geschlagen. Und der junge Türke habe auf dem anderen gesessen und ihn zwar gelegentlich geschlagen, aber nicht gewürgt. Das ist die dritte Version der Vorfälle.

Der Richter zieht nach über vier Stunden Verhandlung die Konsequenz: "Das Gericht schlägt vor das Verfahren einzustellen, da nicht mehr zu ermitteln ist, was damals vorgefallen ist." Die Staatsanwältin sieht das auch so. Die Angeklagten sind einverstanden. Sie bleiben ungeschoren. Nur gegen Yilmaz K. liegt in einer anderen Sache noch ein Strafantrag der Staatsanwaltschaft auf dem Schreibtisch des Amtsrichters von Vaihingen. Ob K. eine Geldstrafe aufgebrummt oder ob es gar zu einer Verhandlung kommt, ist noch offen.

Das Corpus delicti im Familienstreit: Eine messerscharfe türkische Zimmermannsaxt.


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